Leuchtturm der Freiheit oder ein „barbarisches Instrument“?
Recht und Selbstbestimmung werden dieser Tage genau wie Fragen der Identität meistens vom Standpunkt des Individuums aus diskutiert und ihre Beantwortung für die Gesamtgesellschaft tritt oft aus dem Blick. Daher wollen wir uns in diesem Themenkreis bewusst einer anderen Frage widmen, nämlich der nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Dieses Selbstbestimmungsrecht, das ausdrücklich nicht einzelne Subjekte berechtigt, ist seit über einem Jahrhundert fester Bestandteil des Völkerrechts. Schon oft wurde sich in unterschiedlichen Kontexten darauf berufen: Sie es bei der Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg, in den Balkankriegen der 90er Jahre, bei Dekolonisierungsprozessen Afrikas oder natürlich jüngst im Zusammenhang des Russland-Ukraine-Krieges.
Doch dieses Rechtsinstitut, das vielfach als eine Fackel der Freiheit gegen Fremdherrschaft gesehen wird, erfährt auch Kritik. Der berühmte Soziologe Ralf Dahrendorf ging in einem Essay sogar so weit und nannte es ein „barbarisches Instrument“, das lediglich als „Alibi für Homogenität“ und „Unterdrückung von Minderheiten“ benutzt werde.
Wem genau steht dieses Recht also zu? Wie und mit welchen Mitteln kann, darf und sollte es durchgesetzt werden? Oder ist es vielmehr ein mängelbehaftetes, gar spaltendes Instrument und generell reformbedürftig?
Um diese und weitere Fragen zu beleuchten, wirft der Themenkreis einen Blick auf die historischen und rechtlichen Grundlagen des Selbstbestimmungsrechts der Völker, auf konkrete Anwendungen dieses Rechts sowie auf dogmatische und praktische Probleme und Herausforderungen dabei.