Leuchtturm der Freiheit oder ein „barbarisches Instrument“?
Recht und Selbstbestimmung werden dieser Tage genau wie Fragen der Identität meistens vom Standpunkt des Individuums aus diskutiert und ihre Beantwortung für die Gesamtgesellschaft tritt oft aus dem Blick. Daher wollen wir uns in diesem Themenkreis bewusst einer anderen Frage widmen, nämlich der nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Dieses Selbstbestimmungsrecht, das ausdrücklich nicht einzelne Subjekte berechtigt, ist seit über einem Jahrhundert fester Bestandteil des Völkerrechts. Schon oft wurde sich in unterschiedlichen Kontexten darauf berufen: Sei es bei der Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg, in den Balkankriegen der 90er Jahre, bei Dekolonisierungsprozessen Afrikas oder natürlich jüngst im Zusammenhang des Russland-Ukraine-Krieges.
Doch dieses Rechtsinstitut, das vielfach als eine Fackel der Freiheit gegen Fremdherrschaft gesehen wird, erfährt auch Kritik. Der berühmte Soziologe Ralf Dahrendorf ging in einem Essay sogar so weit und nannte es ein „barbarisches Instrument“, das lediglich als „Alibi für Homogenität“ und „Unterdrückung von Minderheiten“ benutzt werde.
Wem genau steht dieses Recht also zu? Wie und mit welchen Mitteln kann, darf und sollte es durchgesetzt werden? Oder ist es vielmehr ein mängelbehaftetes, gar spaltendes Instrument und generell reformbedürftig?
Um diese und weitere Fragen zu beleuchten, wirft der Themenkreis einen Blick auf die historischen und rechtlichen Grundlagen des Selbstbestimmungsrechts der Völker, auf konkrete Anwendungen dieses Rechts sowie auf dogmatische und praktische Probleme und Herausforderungen dabei.
Die diesjährigen Referenten
Prof. Dr. Hans-Joachim Heintze

Der Völkerrechtler promovierte 1977 und habilitierte 1983 an der Universität Leipzig. Er war Dozent für Völkerrecht und seit 1991 Senior Researcher am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Universität Bochum. Er forschte zur Friedenssicherung, leitete EU-Masterprogramme zu humanitärem Recht und Menschenrechten und arbeitete mit der OSZE sowie der dt.-frz. Regierungskommission zu Minderheitenrechten. 2023 wurde Prof. Dr. Heintze emeritiert.
Prof. Dr. Wilfried von Bredow

1968 absolvierte er sein Studium der Politikwissenschaft und Soziologie in Bonn und Köln. Er promovierte 1969 und war bis 2009 Professor für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Er hatte längere Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren in Oxford, Toronto und weiteren Städten. Zudem publizierte er zur politischen Ideengeschichte, zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur Entwicklung der Bundeswehr. Seine jüngste Buchpublikation lautet Kriege im 21. Jahrhundert. Wie heute militärische Konflikte geführt werden.
Prof. Dr. iur. Denise Brühl-Moser
Sie ist Titularprofessorin für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Basel. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften promovierte sie summa cum laude zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Forschungsaufenthalte in Berlin, Heidelberg, Paris und London gingen ihrer Habilitation zur schweizerischen Staatsleitung im Rechtsvergleich voraus. Sie lehrte an Universitäten in Kanada und Usbekistan und forscht zu Föderalismus, Minderheitenschutz und autoritären Regierungssystemen. Derzeit hält sie an der Universität Basel Seminare wie Aktuelle Herausforderungen des Selbstbestimmungsrechts der Völker.
Ibrahim Naber

Ibrahim Naber ist Chefreporter der WELT und berichtet seit Russlands Angriff auf die Ukraine regelmäßig aus Kriegs- und Krisengebieten – darunter auch der Libanon. Er studierte Kommunikation, Politik und Slawistik in Bamberg sowie International Relations & War am King’s College in London. 2017 schloss er die Axel-Springer-Akademie ab und arbeitete anschließend im Investigativteam der WELT. Als freier Reporter schrieb er u.a. für ZDF, ARD und NZZ. 2020 wurde er zu den „Top 30 bis 30“ gewählt, 2022 erhielt er den Arthur F. Burns Preis.